WEEE & Medizingeräte: Der offene Anwendungsbereich im Elektrogesetz und seine Auswirkungen in der EU
Das Jahr 2018 stand in der gesamten EU voll im Zeichen der Novellierung des WEEE, dem sogenannten „open scope“ (deutsch: offener Anwendungsbereich). WEEE bedeutet „Waste of Electrical and Electronic Equipment“. Die Deutsche Umsetzung der ersten EU-Direktive ist seit 2005 das Elektrogesetz.
Der Hintergrund: Die 2012 beschlossene Novellierung der Direktive wurde nun in allen Mitgliedsstaaten in nationales Recht implementiert. Mit der Novellierung soll die Kategorisierung der Geräte schlanker gestaltet und gleichzeitig der Anwendungsbereich des Gesetzes breiter gefasst werden.
Viele weitere Geräte, so zum Beispiel auch Möbel oder Textilien mit elektrischer Funktion sollten zukünftig dem Anwendungsbereich unterliegen. Dies hatte zwei wesentliche Änderungen zur Folge, mit denen sich die Hersteller befassen durften. Zum einen werden Geräte anhand Ihrer Größe unterschieden. Großgeräte und Kleingeräte werden durch die Tatsache voneinander abgegrenzt, ob sie eine Kantenlänge von mehr oder weniger als 50 cm haben.
Die wichtigste Änderung ist jedoch der offene Anwendungsbereich an sich, eine Art umgekehrte Beweislast in der Registrierungspflicht. Früher waren alle elektronischen Geräte registrierungspflichtig, die sich in eine von zehn Kategorien einordnen ließen. Der europäische Gesetzgeber hat erkannt, dass viele Geräte nicht von diesem geschlossenen Anwendungsbereich erfasst wurden. Die Zahl der nicht registrierungspflichtigen Geräte ging somit sowohl zu Lasten aller anderen Marktteilnehmer, als auch zu Lasten der definierten Recyclingquoten.
Der offene Anwendungsbereich jedoch stellt nun automatisch alle Geräte unter den „Generalverdacht“ der Registrierungspflicht, es sei denn, sie werden durch eine der Ausnahmen des WEEE explizit ausgeschlossen. Ein Beispiel hierfür sind infektiöse Medizingeräte.
Es gehört daher nun zu den originären Herstellerverpflichtungen, sich in den Anwendungsbereich des Gesetzes einzuordnen – für diese Entscheidung haftet der Hersteller auch.
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Nationale Betrachtung
Deutschland hat den offenen Anwendungsbereich termingerecht zum 15.08.2018 durch die Novellierung des Elektrogesetzes umgesetzt. Die insgesamt zehn Kategorien und 32 Gerätearten für B2B- und B2C-Geräte wurden signifikant auf sechs Kategorien bzw. 17 Gerätearten reduziert. Hiermit wurde der administrative Aufwand für Hersteller und Vertreiber deutlich geringer, da dadurch zukünftig weniger Mengenmeldungen und ebenso Garantiesummen (B2C) anfallen.
Für alle bestehenden Registrierungen wurden gesetzliche Folge-Gerätearten definiert, die automatische Überführung erfolgte am 26.10.2018. Entsprechende Überführungen konnten bereits vorab simuliert werden. Die entstandenen Registrierungen waren jedoch in den wenigsten Fällen ausreichend. Hersteller standen nun vor der Aufgabe, ihr gesamtes Sortiment in die neuen Gerätearten einzuordnen. Erstmalig musste hier auch die Größe berücksichtigt werden. So wurden zum Beispiel Hersteller für B2B-Geräte der Geräteart „Medizinprodukte“ automatisch in die Geräteart „Großgeräte“ überführt. Für jedes Gerät < 50cm brauchten die Hersteller aber zukünftig eine weitere Registrierung in der Geräteart „Kleingeräte“.
Für 2018 konnte bis zum 15.11.2018 eine Übergangsfrist beantragt werden. Dennoch mussten zahlreiche neue Registrierungen eingereicht werden. Hersteller und Vertreiber mussten je nach Sortiment entweder ersetzende oder ergänzende Registrierungen beantragen. Für jede neue Geräteart mussten die Hersteller von B2C-Geräten ebenfalls wieder insolvenzsichere Garantiesummen hinterlegen.
Internationale Betrachtung
Die EU hatte sich mehr Homogenität in der WEEE gewünscht. Im ersten Schritt hatte die Umsetzung aber mehr Heterogenität zur Folge. Zwar wurde die Direktive in allen Mitgliedsstaaten (sowie Schweiz und Norwegen) in nationales Recht implementiert, jedoch in unterschiedlichem Umfang und zu unterschiedlichen Zeitpunkten.
Einige Länder haben den offenen Anwendungsbereich bereits zum 01.01.2018 eingeführt. Das hatte zur Folge, dass viele Hersteller oder deren Distributoren unwissentlich in falschen Gerätearten registriert waren, oder schlicht Registrierungen für Teile des Sortiments fehlten.
Viele Länder hatten jedoch – wie Deutschland – den Stichtag 15.08.2018 gewählt, so dass Hersteller in Rücksprache mit dem Distributor bereits ab Frühjahr 2018 ihr Sortiment und die nationale Umsetzung der WEEE-Verpflichtungen prüfen mussten. Nicht selten hat sich bei dieser Überprüfung ergeben, dass weder Hersteller noch Distributor national registriert waren, so dass sich einer von beiden zunächst neu anmelden musste.
Weitere Länder werden den offenen Anwendungsbereich allerdings erst zu einem späteren Zeitpunkt einführen.
Die homogene Implementierung von sechs Gerätearten ist ebenfalls noch nicht umgesetzt, da viele Gesetzgeber die Möglichkeit wahrgenommen haben, weitere, zusätzliche Gerätearten zu definieren. So gibt es zum Beispiel in mehreren Ländern eine eigene Kategorie für Photovoltaikmodule.
Hinzu kommt die generelle, nationale Betrachtung der WEEE und ihres Anwendungsbereiches. In Deutschland ist beispielsweise die reine Steckdose, die keine eigenständige elektrische Funktion hat, nicht im Anwendungsbereich des Elektrogesetzes. In Österreich ist sie es jedoch. Dafür tut sich Österreich entgegen dem open scope mit der Registrierung elektrischer Textilien schwer, zum Beispiel in Form von smartwear, heatwear oder blinkenden Schuhen. In Frankreich gibt es theoretisch einen offenen Anwendungsbereich, smarte Textilien werden dort aber trotzdem als Textilien lizenziert, da Textilien (mit oder ohne elektrische Funktion) dort ohnehin grundsätzlich der Lizenzierungspflicht unterliegen.
Zusammenfassung und Ausblick
Rückwirkend lässt sich also feststellen, dass die Vereinfachung der WEEE im ersten Schritt zunächst mit viel Arbeit und Gesprächen verbunden ist. Generell ist es jedem Hersteller angeraten, sich proaktiv um die Rechtskonformität in der erweiterten Herstellerverantwortung zu kümmern. Bei den EU-Direktiven für WEEE, Batterien und Verpackungen sollte grundsätzlich die Einhaltung der nationalen Gesetzgebung überprüft werden. Hier ist unter Umständen ein Gespräch mit dem Distributor erforderlich, um die jeweiligen Verantwortlichkeiten zu klären.
Durch den open scope sind bereits viele Hersteller für das Thema WEEE-Compliance sensibilisiert worden. Diese Sensibilisierung bringt jedoch nicht nur Gutes mit sich. Sowohl die behördlichen Kontrollen als auch das Wettbewerbsverhalten untereinander sind stark angestiegen. Diesem Punkt ist insbesondere die Tatsache zuträglich, dass die WEEE-Register in den meisten Ländern transparent für jeden einsehbar sind. Fehlende Compliance von sowohl Hersteller als auch Distributor wird so schnell sichtbar, weshalb die Wettbewerbs- und Unterlassungsklagen 2018 stark gestiegen sind.
Um Compliance sicherzustellen und Haftungsrisiken zu vermeiden, macht es also durchaus Sinn, die faktische nationale Umsetzung der Verpflichtung einmal genauer zu betrachten und entsprechende Lücken zeitnah zu schließen.
Dieser Blogbeitrag wurde auch im SPECTARIS Jahrbuch 2018 veröffentlicht.